Das Märchen "Die Goldene Orgel"

Den fahrenden Gesellen hatte Graupner, um Aufsehen zu vermeiden, voraus ziehen lassen; vor der Stadt holte er ihn ein und vereint wanderten beide Männer weiter, die Bergstraße entlang und der Stadt Heidelberg zu. Der fremde Musikus erwies sich nunmehr als ein gar lustiger Patron. Er kehrte fleißig in den Schenken am Wege ein und erlabte sich nach Herzenslust an dem kostbaren Wein des Landes. Jetzt, wo er sein unheimliches Unternehmen für gesichert halten konnte, sich am Ziele seiner goldenen Wünsche sah, meinte er, dass es auf einen Brabänter mehr oder weniger nicht ankomme; bald würde ja Geld in Menge die Taschen füllen und sie Beide reicher denn alle Musikanten der Erde sein. Dann aber wollte er ein lustiges Leben führen und besonders den goldenen Wein, den er über Alles verehrte und liebte, hoch in Ehren halten.

Solche Gespräche erfreuten den würdigen Kapellmeister nicht allzu sehr und doch konnte er dem so lustig gewordenen Gesellen nicht recht gram sein, es erzählte derselbe doch auch wieder allerlei drollige Stücklein von Musikanten und Organisten, die Graupner gar nicht übel behagen konnten. Unter anderen musste der ernste Mann recht herzlich lachen über einen Cantor und Organisten, den sein Reisekumpan auf seinen Fahrten getroffen und kennen gelernt hatte, und der dem goldenen Rebensaft außerordentlich, selbst mehr als billig, zugetan gewesen.

Selbiger weinselige Organist, so erzählte der Fahrende, hatte sich eine förmliche Sauf-Orgel anund zugelegt. Diese bestand aus sechs unterschiedlichen Gläsern in Gestalt von Orgelpfeifen, die er mit den gebräuchlichen musikalischen Zeichen: UT, RE, MI, FA, SOL und LA benannte! Diese Pfeifen trank er denn gewöhnlich allabendlich mit seinen gleichgestimmten und gesinnten guten Freunden, oder auch mit denen etwa zugereisten Musikanten und Kollegen aus und leer, und zwar mit der drolligen und lustigen Bemerkung, dass es geschehe: UTiliter, mit Nutzen, nicht sowohl seiner als anderer und absonderlich der Weinbauern und Wirthe; REaliter, in der Tat und wahrhaftig; MIrabiliter, auf eine wunderbare Art und Weise, FAciliter, ganz leicht und ohne sonderbare Mühe; SOLenniter, mit großer Freude und Jauchzen, und endlich auch LAcrymabiliter, dass ihm die Tränen der Lust und des Dankes darüber aus den Augen in die Wangen herab fließen, wie es allen Denjenigen zu gehen pflegt, so einen wackeren tüchtigen Zug guten Weines tun!

Just also, meinte der Fahrende lustig, wollte er es auch halten, wann einmal die goldenen Orgel-Pfeifen sein Eigen wären. Doch dann hielt der lachende Kapellmeister inne und entgegnete ernsthaft warnend, dass ein solches Trinken doch am Ende tränenreich und gar kläglich für ihn ablaufen würde, wie es auch wohl bei einem solchen Leben und Saufen nicht anders möglich sei.

Also plaudernd und parlierend verkürzten die beiden Männer die lange Wanderschaft. Bei der Stadt Mannheim ließen sie sich über den Rheinstrom setzen und zogen dann den Bergen der Pfalz, des alten Wasgaues zu. Mehrere Tage vergingen und absichtlich richtete der fahrende Geselle es also ein, dass sie erst am Tage vor Johanni in der Nähe des Sülzbacher Tals anlangten, wobei er vorsichtig vermied, dasselbe von der Seite des Dorfes Ramberg zu betreten. Je näher sie jedoch dem Ziele ihrer Fahrt kamen, je ernster wurde der fahrende Geselle. Seine großen Augen begannen wieder unheimlich und unruhig zu leuchten und umherzuschauen, und seine Züge, die sich auf dem Wege stets heiter und leicht gerötet gezeigt, nahmen wieder ihre frühere starre Blässe an. Auch Graupner war ernst und stille geworden; wusste er doch nicht, wie das seltsame Abenteuer, in das er sich so unwillkürlich eingelassen, für ihn und überhaupt endigen würde.

Im tiefen Walde, bei einer kleinen verlassenen Hütte, einem ehemaligen Wildwärterhäuschen, das ein gewaltiges zerfallenes hölzernes Kreuz zierte, wohl als Zeichen einer geschehenen Mordtat oder eines Unglücks, machten beide Männer Halt und ruhten von den letzten zurückgelegten Wegstunden aus, sich zugleich stärkend und vorbereitend auf die etwaigen Vorkommen der Nacht. Doch weder der unterwegs eingekaufte Wein, noch sonstiger Imbiss wollte munden. Ein Jeder von ihnen war in seiner Weise zu sehr aufgeregt und mit den Gedanken an das, was nun kommen würde, beschäftigt, wozu auch wohl hinlängliche Ursache vorhanden war.

Es war ein trüber Tag, Wolken bedeckten den Himmel und bald hüllte die Dämmerung den dichtbewachsenen Waldplatz ein. Graupner mahnte zum Aufbruch, weil es ihn drängte, den Ort, wo sich das Wunderbare ereignen sollte, noch beim Lichte des Tages schauen zu können. So machten Beide sich denn endlich wieder auf den Weg, und nach kurzer, etwa einstündiger Wanderung traten sie auf einen mit gewaltigen Kiefern bestandenen sanften moosigen Abhang, der in ein kleines an drei Seiten von hohen bewaldeten Bergen eingeschlossenes Tal führte.

Der fahrende Geselle warf sich auf den weichen Boden nieder und sein glühender Blick, womit er in das Tälchen schaute, seine heftig arbeitende Brust, kündeten Graupner genugsam an, dass sie am Ziele ihrer Wanderung seien. Auch dem Kapellmeister wurde es recht sonderbar um’s Herz und schwer, ja sogar ein weniges bänglich schaute er in die Gegend hinaus, die in trübem abendlichem Dämmerschein sich seinen Blicken zeigte.

Just vor ihm, im Kessel des Tals, lag der gespenstische See, ein stilles sumpfiges Wasser, rings von einem breiten dichten Gürtel von hohem Schilf und Röhricht umgeben. Den Namen See verdiente es nicht – er hätte denn in früherer Zeit von größerem Umfang sein müssen. Eine Menge Wasserpflanzen bedeckten noch seine Oberfläche, die ruhig und unbeweglich schien.

Seitwärts schauend sah Graupner die gewaltigen hochemporragenden Trümmer und Überreste der alten Abtei, fast die ganze Breite des Tals einnehmend, die von einer düstern über ihnen lagernden Wolke beschattet, schon in tiefes Dunkel gehüllt, erschienen. Durch die oberen Theile der byzantinisch gewölbten Fenster des Chors und andere Mauerrisse und Lücken blickte jedoch noch in matter Helle der ferne noch wolkenlose Abendhimmel, wodurch die Düsterheit des Vordergrundes noch wirklich vermehrt wurde. Noch konnte man durch die Helle der Ferne erkennen, dass sich das Tal hinter der Abtei erweiterte, und einige zerfallene Hütten, wie die Ruinen einer Ortschaft, die bis jetzt noch nicht wieder zu neuem Leben hatte erstehen können. Das also war der Schauplatz, auf dem sich so Wunderbares begeben sollte.

Zweifel begannen nun wieder in Graupner aufzusteigen, da er sich an Ort und Stelle befand. Doch wurden sie durch einen Blick auf seinen Gefährten sofort wieder verscheucht. Dieser lag am Boden, mit glühenden Blicken nach jener Stelle des sumpfigen Wassers schauend, und seiner heftig arbeitenden Brust entsprangen sich einzelne, heiser tönende Worte und Reden.

„Dort – sah ich sie – vor sieben Jahren! – Dort, über den Wassern stand sie – von purem, lauterem Golde – die versunkene Orgel! – Ich sah sie – ich konnte sie fassen und – sie entging mir doch! Verflucht!“ –

Ein ernstes strafendes Wort des Kapellmeisters hemmte diesen gewaltsamen fieberhaften Erguss eines gierigen Herzens.

„Hierher zu mir!“ rief der Andere darauf, seine langen grauen Haare unwillig schüttelnd. „Jetzt ist keine Zeit mehr zum Predigen und Moralisieren. Wir müssen ihn erlangen, den goldenen Schatz; nur darauf lasst uns denken, nur darüber reden. Legt Euch zu mir auf das weiche Moos und lasst uns nochmals genau festsetzen, wie wir es beginnen, halten wollen.“

„Darüber ist nicht viel zu reden und festzusetzen. Erscheint das goldene Wunderwerk wirklich in dieser Nacht, wie Ihr angegeben, so will ich mit Gottes Hilfe wagen, es zu spielen, wenn es überhaupt unter Menschenhänden erklingt, und weder der Blick des gespenstischen Mönches soll mich irremachen noch irgend andere spukhafte Erscheinungen. Ich will meine Gedanken nur meiner Kunst und Dem dort oben zuwenden, wie ich es tue, wenn ich auf meiner Orgel, daheim in der Kirche, spiele.“

Also sprach der Kapellmeister ruhig und warf sich auf den Boden nieder. Und der Andere entgegnete hastig:

„Und habt Ihr sie gespielt, die goldene Orgel, und habt Ihr vor dem gespenstischen Mönch – mit dem starren tödlichen Blick – Eure Meisterschaft dargetan und bewährt, dann verlangt Ihr die goldenen Pfeifen alle! – Alle, ohne Ausnahme! – Und wir teilen sie redlich, nach Übereinkunft, nicht wahr?“

Graupner antwortete auf diese, von glühenden gierigen Blicken begleitete Rede nur durch ein bejahendes Kopfnicken. Er dachte dabei an Weib und Kinder, und dass er wohl einen Lohn verlangen könne, wenn die gespenstische Erscheinung überhaupt einen solchen zu gewähren habe. Beide Männer verfielen hierauf, ihren wohl verschiedene Wege wandelnden Gedanken nachhängend, in das frühere Schweigen.

Stunden vergingen. Der Himmel verdunkelte sich über der Gegend immer mehr und hüllte bald Tal und Sumpf in dustere Schleier, während der ferne Horizont noch in matter Heller erschien. Auf ihm traten die Ruinen der Abtei in seltsam geformten Umrissen rabenschwarz hervor, wodurch die Unheimlichkeit des Ortes nicht wenig erhöht wurde. Ein Wetter schien sich zu nähern, denn ein scharfer Luftzug durchfuhr, stets stärker werdend, das Tal. Immer mächtiger bewegten sich die Äste und Kronen der gewaltigen Kiefern, also dass ein eigentümliches Singen und Rauschen über den Häuptern der beiden Männer laut wurde. Bald klang es zischend und in aufsteigend tönender Weise, bald tief und gewaltig wie ein fernes herannahendes Sturmgebraus. Ruhig und bewegungslos lag der fahrende Geselle am Boden, sich nicht kümmernd um das, was um und über ihm vorging; doch wandte er keinen Blick von dem spukhaften Sumpf zu seinen Füßen ab, während Graupner tief erregt dem Tönen und Rauschen des Windes und der Bäume lauschte, mehr denn einmal wähnend, dass diese ihm fremde und so ergreifend und gewaltig klingende Musik von der erwarteten spukhaften Orgel herrührte.

Doch diese ersehnte Stunde war noch nicht da. Die Zeit bis Mitternacht verstrich langsam. Das drohende Wetter hatte sich verzogen und endlich ließ der Wind nach; er hatte den Himmel von der über dem Tale hängenden Wolkenmasse reingefegt und hinter den bewaldeten Spitzen der Berge erschien der Mond und warf sein bleiches Licht nach und nach über das ganze Tal. Wahrhaft gespenstisch erschienen nun die Kloster-Ruinen in der so eigentümlichen Beleuchtung des Mondes, während andere Theile derselben in tiefem unheimlichem Dunkel blieben. Auf der stillen Wasserfläche, durch das einzelne Röhricht und zerstreute Blätterwerk, tauchte ein silbernes Glitzern und Blinken auf, als ob die Pfeifen des erwarteten kostbaren Werkes endlich, nach langjährigem Schlummer aus der Tiefe zu Tage treten wollten. Doch Nichts erfolgte. Still und ruhig blieb es auf dem Wasser und im Tale, selbst das Rauschen der Kiefern war zu kaum hörbarem Flüstern herabgesunken.

Graupner, der anfänglich von dem neuen überraschenden Bilde, das sich ihm bot, wahrhaft gefesselt worden war, wandte nun den Blick zu seinem Gefährten hin und erschrak zusammen über dessen Aussehen. Zugleich begann das Rauschen und Tönen wieder, doch diesmal eigentümlicher, reicher und harmonischer. Der fremde Geselle lag gekrümmt auf der Erde, den Oberleib nach dem Sumpfe hingestreckt. Sein Mund war weit geöffnet, seine großen glühenden Augen traten fast aus ihren Höhlen hervor und schienen den Anblick, der sich ihnen bieten mochte, verschlingen zu wollen. Endlich hob er den rechten Arm und nach dem Sumpfe deutend, keuchte er mit heiserem Flüstern:

„Dort! – dorthin sieh!“ – –

Graupner wandte den Blick nach der Stelle. – O Wunder! – Da war die spukhafte, gespenstische Erscheinung, wie der Fahrende sie ihm beschrieben! –

In einem Lichtkranze, der golden gegen den bleichen Schein des Mondes abstach, schwebte auf der Wasserfläche des Sumpfes die gespenstische Orgel. Die goldenen Pfeifen groß und klein, erglänzten in der doppelten Beleuchtung. Bunte Gestalten umgaben das Werk als Zierrat. Beim Basse stand eine lebensgroße Figur in altem kriegerischem Gewande, eine Tuba haltend und blasend.

Graupner erkannte in ihm sofort den gewaltigen Waffenträger Moses und Heerführer der Israeliten Josua, der durch den Schall seiner Trompeten die Mauern Jericho’s gestürzt. Und auf der anderen Seite, beim Diskant, stand König David im reichen Kleide, mit der Krone auf dem Haupte, mit dem goldenen zierlichen Saitenspiel im Arm. Allerlei Englein, verschiedene Instrumente haltend und gleichsam spielend, umgaben das goldene Werk von allen Seiten und verliehen ihm ein so überaus köstliches Ansehen, dass das Herz des ehrlichen Musikers und Organisten vor staunender Freude erbebte.

Doch vor dem kleinen Manuale saß ein Mönch, den beiden Männern zur Hälfte den Rücken zuwendend, und ließ die Finger langsam und leicht über die Tasten gleiten. Sein Antlitz, so weit es zu sehen war, zeigte knochige Umrisse und erschien, vom Monde hell beleuchtet, von fahler entsetzlicher Blässe. Tief in seiner Höhle lag das Auge, das auf die Tasten niederschaute, und ein Kranz von grauen Haaren umrahmte den nackten Schädel.

Gebannt von der wundersamen Erscheinung vermochte der Musiker anfänglich nicht auf das Tönen und Singen des goldenen Werkes zu horchen. War er auch nicht so furchtbar aufgeregt wie sein bleicher Gefährte, welcher sich, wie eine Schlange windend, dem gespenstischen goldenen Orgelwerk zu nähern suchte, und dasselbe mit unbeschreiblich gierigem Ausdruck seiner glühenden Augen anstarrte, so fühlte er doch auch sein Blut, seinen Herzschlag fast stocken und wie ein kalter Schauer ihn überkam und schüttelte. Endlich aber vermochte er sich in etwas zu sammeln und nun sog sein Ohr gierig ein, was da so wundersam tönend und singend die Luft durchzog.

Es war kein gewöhnliches kunstreiches Orgelspiel, was er vernahm; es waren keine Töne, wie er sie bis jetzt von diesem königlichen Instrument, noch von irgendeinem Andern gehört. Es war ein tönendes Säuseln, als ob eine milde Frühlingsluft durch die wohlgestimmten reichen Saiten einer Harfe führte, bald stärker, bald schwächer, bald rascher, bald langsamer. Darein erklang ein sanftes Flötenspiel, doch in ihm unbekannten Intervallen; und andere Klangfarben vernahm sein geprüftes Ohr, die er keinem der ihm bekannten Register zuerkennen konnte. Es war schier, als ob Frühlingsluft und Mondschein, Bäume und Gräser um die Wette flüsterten, tönten und zusammen musizierten, und zugleich allerlei Vöglein ihr sanftes, süßes Jubilieren erklingen ließen. Dann wieder ertönte ein tiefes Rauschen, bald steigend, bald fallend, als ob die Quellen und Felsen der Erde auch mitsingen und klingen wollten. Doch wurden dann die Töne und Harmonien ernster und klagender. Das tiefe Rauschen glich schwerem Seufzen und Stöhnen, wie sie sich belastender Menschenbrust entringen, während das Jubilieren der Oberstimmen in ein mitfühlendes Weinen und Klagen überging, bis endlich all‘ dieses klagende Tönen und Rauschen, dies lange Flüstern und Singen, sich wieder in die früheren wunderbaren Harmonien auflöste. Es war dem hochaufhorchenden Musiker nicht anders, als hörte er ein himmlisches Concert, aufgeführt von den lieben Englein dort Oben und dem Saitenspiel seines Patrons, des Sänger- und Harfenkönigs David. Wie gebannt, festgezaubert saß er auf seinem Platze und horchte mit gefalteten Händen dieser, so himmlischen Musik, nicht achtend auf das heisere, heftige Flüstern seines Gefährten, der ihn drängen wollte, durch Worte und Gebärden andeutete, zu dem Wasser, dem goldenen Werk, hinunterzusteigen, ehe es verschwinde, zu spät sein würde.

Jetzt ruhten die Hände des gespenstischen Mönches und während die letzten Töne und wundersame Harmonien langsam die Luft durchzitterten, wandte er das bleiche Gesicht den beiden Lauschern zu und seine dunklen Augen schienen eine Aufforderung zum Näherkommen auszudrücken.

Mit einem aus tiefster Seele kommenden „Mit Gott!“ erhob sich nun in rascher Bewegung Graupner. Begeisterung, nie gekannte, himmlische Begeisterung für seine hohe und schöne Kunst war mit dem Gehörten in sein Herz eingezogen und erfüllte mächtig sein ganzes Wesen, zugleich das brünstige und glühende Verlangen, das kostbare seltene Werk zu spielen. Festen Schrittes, während sich der Brust seines Gefährten ein leuchtendes freudiges Atmen entrang, stieg er den Abhang hinunter und ging, die Seele voll Glauben an die Wahrhaftigkeit der Erscheinung, auf das Röhricht des Wassers zu. Und siehe da, zu beiden Seiten bog sich das Schilf auseinander, ihm eine Gasse machend, und sicher wandelte sein Fuß auf der Wasserfläche, als ob es ein fester weicher Boden gewesen wäre.

Schon hatte der gespenstische Mönch sich von seinem Sitz erhoben, und ohne ihn anzuschauen und zu beachten, setzte sich Graupner an die leere Stelle vor das Manual und legte die kundigen Finger auf die zierlichen elfenbeinernen Tasten des Werkes. Wie schaute ihn der König David mit seiner goldenen Harfe so freundlich an! Der Musiker vermochte nicht den Blick von der Figur abzuwenden und aus tiefster Seele betete er zu dem königlichen Musiker, den er ja sein ganzes Leben lang als Patron so hoch in Ehren gehalten, ihm diesmal beizustehen. Es schien, als ob die tote, geschnitzte Gestalt sein Bitten und beten vernehme, denn ihre Züge dächten Graupner immer freundlicher und aufmunternder zu werden, und nur sie im Auge haltend, begann er sein Spiel.

Wie senkten und hoben sich die Tasten unter seinen Fingern! Doch, nicht kam zu Gehör, was Graupner nach seinem Spielen zu hören erwartete. Alle kunstreichen und schönen Formen und Harmonien, durch die er sein begeistertes Fühlen und Denken verkörpern wollte, gingen auf in einem Tönen und Singen der Orgel, das gar seltsam und wunderbar klang und sein Herz, sein ganzes Wesen auf’s Mächtigste ergriff und hob. Es war, als ob sein eigenes Empfinden, alles Frohe und Schöne, was ihn erfüllte, zu Tönen und Klängen werde, die in keinem Zusammenhang mit dem künstlichen Werk, unmittelbar aus seinem Herzen als schöne, himmlische Musik emporsteige. Das klang und jubilierte durch die Lüfte, durch die Wipfel der Bäume des Waldes, als ob die ganze Erde in Freud und Lust aufgehen wollte, genauso, wie sein Herz es empfand. Immer erregter, freudiger spielte Graupner mit Ohr und Seele lauschend, auf sein Musikwerdendes inneres Leben. Immer lustiger schienen die beiden, dem König David zunächst sitzenden Engelein zu musizieren; immer freundlicher, zufriedener schaute ihn der königliche Harfenspieler an, von dessen edlen Antlitz Graupner seinen Blick nicht abzuwenden vermochte und dessen freundliches Lächeln und Nicken immer neue Quellen der Freude in seinem Herzen hervorzauberte, die sofort in dem wunderbarsten und herrlichsten Tönen und Singen des von dem wackeren Musiker gespielten Werkes aufgingen.

Doch die Zeit verstrich. – Plötzlich fühlte Graupner eine eisig kalte Berührung seiner Schulter, und wie er den Kopf wandte, blickte er in das bleiche Antlitz des gespenstischen Mönches. Der starre Blick schien Zufriedenheit aussprechen zu wollen und zugleich die Aufforderung, dass der Spieler nunmehr seinen Lohn verlangen sollte. Also dünkte es Graupner. Und auch dem dort auf dem Rasen, ganz nahe dem Schilf des Wassers lauschenden Gesellen musste es also dünken, denn vom Lande erklangen mit gieriger Hast und heiserem Tone hervorgestoßene Worte: „die goldenen Pfeifen verlange! die goldenen Pfeifen!“

Doch Graupner hörte die Worte nicht. Sein Herz war zu voll, zu freudig erregt durch die vernommene himmlische Musik. Er ließ ab von den Tasten des Werkes, und kühn dem Mönch in das bleiche Antlitz schauend sprach er:

„Wenn ich denn etwas für mein Spielen verlangen darf, und Ihr mir etwas geben könnt und wollt, so bitte ich Euch um meinen Patron, den König David, und die beiden musizierenden hölzernen Englein dort!“

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als vom Lande her ein entsetzlicher, mit heiserer keuchender Stimme hervorgestoßener Fluch ertönte, worauf ein dumpfer Schlag erfolgte, als ob ein schwerer Gegenstand in das Wasser des Sumpfes gefallen.

Zugleich erhob sich ein Stürmen und Brausen, welches im Augenblick zur gewaltigen Windsbraut anschwoll, die wirbelnd den erstarrenden Graupner erfasste und mit furchtbarer Gewalt darnieder warf, also dass es Nacht vor seinen Augen wurde und die Sinne ihm vergingen.

Audio: 27:55 min.

II. Der fahrende Musikant                  IV. Der König David


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